Sekten-Info NRW, 16.04.2020, Aufsatz von Bianca Liebrand: Zersplitterung nach Therapie – Bedenkliche Auswirkungen der „Rituelle Gewalt Mind-Control“- Theorie
Es gibt eine Menge Literatur zu ritueller Gewalt und DIS bzw. multiplen Persönlichkeiten. Das Besondere an diesem Aufsatz ist ein umfangreicher und außerordentlich aufschlussreicher Fall- und Erfahrungsbericht einer Therapierten, die sich von der Therapie distanziert hat. Sie selbst schreibt von „Ausstieg“ in bewusster Assoziation an sektenähnliche Verhältnisse.
Der Bericht bestätigt die schlimmsten Vermutungen über den Verlauf einer derartigen Therapie. Ausgehend von dem völlig unwissenschaftlichen Schluss von Symptomen auf erlebten sexuellen Missbrauch als Ursache werden viele Innenpersönlichkeiten regelrecht hervorgelockt. Zum Beispiel wird die Frage der Therapeutin, ob sich die Patientin prostituiert, von dieser natürlich zurückgewiesen. Doch die Therapeutin entgegnet, dass die Patientin davon ja gar nichts mitbekommen würde, wenn eine andere Innenperson das täte.
Das ganze verschwörungstheoretische Szenario von Satanskulten, Babyopfern, Opferprogrammierung bis hin zu Fernsteuerung von Personen wird aufgebaut und als undiskutierbare Tatsache dargestellt. Falsche Erinnerungen dagegen werden als nicht wirklich existierend und als rein taktische Maßnahme krimineller Kreise zum Täterschutz dargestellt. Die gesamten Techniken der Therapeutin werden ausführlich dargestellt. Im Therapieverlauf geht es der Patientin immer schlechter – wie sollte es wohl auch anders sein angesichts eines solchen Drohszenarios. Es folgen weitere Therapieempfehlungen und Klinikempfehlungen, selbstverständlich „linientreue“ Verschwörungstheoretiker. Von Kliniken oder Therapeuten, die sich mit ritueller Gewalt „nicht auskennen“ wird dringend abgeraten.
Im Lauf der Therapie wurde die Patientin so lebensunfähig, dass sie ambulant betreutes Wohnen beantragen musste. Doch die Gespräche mit der ihr zugeordneten Alltagsunterstützerin und einer Ergotherapeutin halfen, ihr kritisches Denken nach und nach wieder zu beleben. Mit der Folge, dass ihre Therapeutin sie als täterloyal ansah. Der mühsame Ausstiegsprozess nach Abbruch der Therapie dauerte Monate mit einem ständigen Auf und Ab.
Dieser ausführliche Bericht wird von Liebrand fachlich interpretiert. Diese Interpretation ist umfangreich und stellt den Erfahrungen der Patientin die Ergebnisse der wissenschaftlichen Psychologie gegenüber.
In ihrer Zusammenfassung stellt Liebrand fest, dass es keine wissenschaftlichen oder faktischen Ergebnisse gibt, die die Theorie der rituellen Gewalt stützen. Nicht die Theorie selbst sei bedenklich, sondern die daraus entwickelte Therapieform. Abschließend folgen einige Kriterien für die Suche nach einer geeigneten Psychotherapie und Empfehlungen für Therapeuten, zum Umgang mit vermuteten Traumatisierungen.