New York 2008, ISBN 978-1-932594-39-3
Der Autor ist Professor für Psychiatrie an der Johns Hopkins University in Baltimore und leitete 26 Jahre lang die psychiatrische Abteilung der Universitätsklinik. Er geht hart mit seinem Berufsstand ins Gericht wegen seiner Neigung, auf therapeutische Moden aufzuspringen, um diese einige Jahre später nach unendlich viel angerichtetem Schaden wieder fallenzulassen.
Er berichtet in diesem Buch ausführlich über die Entwicklung falscher Erinnerungen und multipler Persönlichkeiten, von ihrem steilen Aufstieg zu dem ebenso steilen Niedergang. Noch bevor er als Psychiater an prominenter Stelle als Gutachter bei Prozessen gegen zu Unrecht beschuldigte Väter in den Strudel der „memory wars“ gezogen wurde, lernte er bereits einen der führenden Theoretiker der multiplen Persönlichkeiten, Dr. Loewenstein, kennen und erkannte dessen Thesen und Behandlungsmethoden als in höchstem Maße unwissenschaftlich und unverantwortlich. Er sieht in den Therapeuten, die in aggressiv-suggestiver Weise nach verdrängten Traumata suchen, späte Nachfolger von Sigmund Freud („manneristic Freudians“). Aus seiner Abneigung gegen dessen spekulative und unwissenschaftliche Arbeitsweise macht er kein Hehl, obwohl er anerkennt, dass es viele Psychoanalytiker gibt, die eine gute und verantwortungsvolle Therapie betreiben.
In den eigentlichen „memory wars“ war er vielfach als Gutachter in Prozessen gegen zu Unrecht beschuldigte Väter und gegen recovered-memory-Therapeuten tätig, so in den berühmten Fällen von Donna Smith gegen ihren Vater, Nadean Cool gegen Dr. Olson und Patty Burgus gegen Dr. Braun. Nach diesen teils spektakulären Fallberichten, die gelegentlich in etwas ermüdender Breite gebracht werden, wendet sich McHugh der Frage zu, woran die recovered-memory-Therapie krankt: Er stellt fest, dass die Therapeuten ihre Aktionen von vordergründigen Symptomen diktieren lassen, statt eine sorgfältige Anamnese mit der kompletten Vorgeschichte der Patienten vorzunehmen und diese sorgfältig auszuwerten. In einem hochinteressanten Kapitel über die Diagnosekataloge ICD 10 und DSM IV zeigt er auf, wie diese Arbeitsweise einerseits zu den Konzepten der DSM IV geführt hat und umgekehrt von diesem Diagnosekatalog nahegelegt wird, der rein symptomorientiert arbeitet, ohne Ursachen in Erwägung zu ziehen. Seine eigene Methode, mit der Frage der Realität von Erinnerungen an sexuellen Missbrauch umzugehen erläutert er anhand einer einfachen 2 x 2 – Matrix, die sich auch an anderen Stellen der Literatur findet.
Mit einer Betrachtung zur Hysterie geht er weit in die Geschichte der Psychiatrie zurück. Der Ausdruck Hysterie ist bei Psychologen und Psychiatern außer Mode gekommen und wurde in anderen Symptomklassen aufgenommen. Wenn McHugh trotzdem diesen Begriff wieder aufnimmt, so deshalb, weil in den Nachfolgeklassierungen einige wesentliche Eigenschaften der Hysterie verlorengegangen sind. Er sieht Hysteriker als „gläubige“ Anhänger einflussreicher Meinungen, die in ihrem Verhalten genau das reproduzieren, was sie glauben, und zwar umso ausgeprägter, je mehr Aufmerksamkeit ihnen zuteil wird. Er sieht Hysterie als „ansteckend“ (Gruppentherapie!) und zu einem „Wettbewerb“ um die wildesten Symptome und Pseudoursachen neigend. In diesem Sinne sieht er die recovered-memory-Therapie und die multiplen Persönlichkeiten als Ausdruck von Hysterie, ähnlich wie die Hexenjagd von Salem oder die Charcotschen Hysteriedarstellungen.
McHugh erkennt, wie diese Hysterie, nachdem recovered memory und multiple Persönlichkeiten weitgehend ihre Glaubwürdigkeit verloren haben, sich in ihrem Schwerpunkt auf die postraumatische Belastungsstörung verschiebt, deren Hype er als künstlich ansieht und deren Berechtigung er kritisch betrachtet. Am Ende des Buches gibt er einem Ausblick, wie verantwortungsbewusste Psychotherapie aussehen könnte.
Aus amerikanischer Sicht ist das Buch ein Rückblick auf ein überwundenes Problem, doch das gleiche Problem ist in Europa noch keineswegs überwunden, und deshalb ist das Buch hier wichtig.