Hinesburg VT 1996, ISBN 0-942679-18-0
Pendergrast ist investigativer Journalist und selbst betroffen durch die falschen Erinnerungen zweier erwachsener Töchter. Deshalb ist dieses monumentale Buch nicht nur eine sorgfältig recherchierte Abhandlung, sondern geprägt von tiefem Mitgefühl nicht nur für die zu Unrecht Beschuldigten. Um es gleich vorweg zu sagen: Für den Rezensenten ist es das überzeugendste und ausgewogenste Buch über falsche Erinnerungen, das er unter den ca. 50 Büchern zu diesem Thema gefunden hat. Dass gerade dieses Buch nicht ins Deutsche übersetzt wurde, ist sehr zu bedauern. Für Leser, denen es Mühe macht, Englisch zu lesen, ist es zu umfangreich.
Der Autor beschreibt in seiner Einführung sein Motiv, dieses Buch zu schreiben: Wenn er nur ein Therapieopfer nachdenklich machen könne, sei es wert, es zu schreiben.
Das Buch ist alles andere, als eine simple plakative Darstellung. Der Autor macht es sich nicht leicht. Nachdem er seinen eigenen Fall geschildert hat, beleuchtet er das gesamte Feld von allen Seiten. Er erläutert ausgiebig den Einfluss der recovered-memory-Literatur von der Art des berüchtigten Buches Trotz Allem (englischer Titel: The Courage to Heal) von Bass and Davis, befasst sich mit den Grundlagen der Gedächtnisforschung, wendet sich Beschreibungen von UFO-Entführungen und satanischen Kulten zu, lässt Therapeuten, Therapieopfer, Beschuldigte und Rückzieher selbst zu Wort kommen, ohne deren Darstellung durch eigene Kommentare zu färben. Er schildert die spektakulären Fälle in Vorschulen und Kinderheimen, bei denen Kinder als Zeugen vor Gericht stehen. Er leitet die gesamte Bewegung von ihren Wurzeln in der Psychologie des frühen 20. Jahrhunderts her, wobei er mit Sigmund Freud hart ins Gericht geht, und stellt die gesamte Bewegung in einen größeren soziokulturellen Zusammenhang mit Feminismus, Sexismus, Rassismus, dem Zwang zu politischer Korrektheit und dem Zerfall der Familien.
Es gibt wohl kaum ein Buch über die Recovered-memory-Bewegung in den frühen 90er Jahren, das in seiner gesamten Anlage so sorgfältig jede simple schwarz-weiß-Darstellung vermeidet. Aber es lässt keinen Zweifel daran, dass diese Bewegung eine ist, bei der es nur Verlierer gibt: An erster Stelle stehen dabei für den Autor die Therapieopfer, die durch eine irregeleitete und irreleitende Therapie ihre Identität und ihre Vergangenheit verloren haben. Verlierer sind auch die Rückzieher unter den Therapieopfern, die furchtbare Jahre ihres Lebens investiert haben, um schließlich festzustellen, dass sie ihr Leben ganz neu aufbauen und die Verantwortung für alles selbst übernehmen müssen. Verlierer sind natürlich die Beschuldigten, deren Familien zerstört werden. Das Mitgefühl des Autors macht aber auch vor den Therapeuten nicht Halt, deren wohlmeinende und überzeugte Therapiepraxis diese furchtbaren Resultate hervorbringt, und in deren Haut der Autor nicht stecken möchte, wenn sie sich eines Tages mit den Folgen ihres eigenen Handelns auseinandersetzen müssen.
Das Buch endet mit einem ergreifenden Brief an seine beiden Töchter. Ob diese ihn gelesen haben und ob sie sich davon haben beeindrucken lassen, bleibt offen.
Die Materie ist — so wie Pendergrast sie anpackt — hochkomplex, entsprechend ist das Buch sehr umfangreich. Zeitlich steht das Buch noch am Anfang der Memory Wars in den USA, die große Zahl zitierter wissenschaftlicher Arbeiten ist daher nicht immer auf aktuellstem Stand.