Die Analogie mit dem Speicher eines Computers trügt
Oft wird das Gedächtnis mit dem Speicher eines Computers verglichen. Im Computer werden alle Inhalte an genau definierten Stellen abgelegt, an denen sie unverändert erhalten bleiben und auch jederzeit unverändert abrufbar sind. Die Neurologie hat aber festgestellt, dass zwar Handlungsfähigkeiten oder Inhalte, die bestimmten Sinnen zugeordnet sind, meist in bestimmten Regionen des Gehirns lokalisiert sind, aber in vielen Fällen (z.B. bei Beschädigung dieser Hirnbereiche) auch an andere Stellen umprogrammiert werden können. Für Gedächtnisinhalte als Ganzes wurde jedoch kein definierter Ort im Gehirn nachgewiesen. Im Gegenteil konnte in Versuchen mit Ratten gezeigt werden, dass gelernte Inhalte durch Entfernung von Teilbereichen des Hirns nicht vollständig entfernt wurden.
Der Abspeicherungsvorgang im menschlichen Gedächtnis
Sämtliche erlernten Fähigkeiten und Kenntnisse sind Gedächtnisleistungen. Dazu gehört z.B. auch, wie man läuft, schwimmt oder Fahrrad fährt. Diese Fähigkeiten werden im sogenannten impliziten Gedächtnis abgelegt und sind einem Ausdruck in Worten nicht zugänglich. Vieles davon interessiert im Zusammenhang mit falschen Erinnerungen nicht, denn dabei geht es ausschließlich um erlebte, mental erinnerbare Inhalte, das sogenannte autobiographische Gedächtnis.
Wenn äußere Ereignisse im Gedächtnis abgespeichert werden, müssen sie durch unsere Sinne ins Gehirn gelangt sein. Dabei lehrt unsere Erfahrung, dass nur ein kleiner Bruchteil der Informationen, die unsere Sinne aufnehmen, überhaupt über nennenswerte Zeit gespeichert werden kann, weil die Fülle der Daten ungeheuer ist. Den einzelnen Sinnen sind äußerst kurzzeitige sensorische Speicher zugeordnet, deren Speicherdauer nur Sekundenbruchteile beträgt. Meist wird diesem sensorischen Speicher nur entnommen, auf was wir von vornherein unsere Aufmerksamkeit legen. Es kann aber auch ein Inhalt des betreffenden Sinneseindrucks unsere Aufmerksamkeit „triggern“. Was dem sensorischen Gedächtnis zu einer weiteren Verarbeitung im Kurzzeitgedächtnis entnommen wird, ist nur ein winziger Bruchteil der ständig durchlaufenden Sinneseindrücke.
Kühnel und Markowitsch machen darauf aufmerksam, dass das Kurzzeitgedächtnis im wissenschaftlichen Sinn nicht das gleiche ist wie das, was in der Umgangssprache als Kurzzeitgedächtnis verstanden wird. Während es umgangssprachlich einen Zeitraum von einigen Minuten bis Stunden umfasst, bezeichnet die Gedächtnisforschung damit eine Speicherung von bis zu 30 Sekunden bei einer sehr begrenzten Speicherkapazität. Man bezeichnet diese Stufe der Gedächtnisspeicherung auch als das Arbeitsgedächtnis, weil darin eine aktive Verarbeitung und Verknüpfung der Information mit anderen vorhandenen Inhalten und Reizen stattfindet. Diese Verarbeitung resultiert in weiterer Auswahl und Filterung, die entscheidet, was dem Langzeitgedächtnis zugeführt wird. Der Übergang zur Speicherung im Minuten- oder Stundenbereich bis hin zu lebenslanger Speicherung ist fließend und hängt stark von der Häufigkeit und dem Rhythmus der Erinnerungs-Abrufe zusammen. Was nicht abgerufen und nicht verknüpft wird, wird in kurzer Zeit vergessen. Vergessen ist eine wichtige Leistung des Gedächtnisses, siehe Erinnern und Vergessen.
Literatur zur Funktion des Gedächtnisses
- Myers: Psychologie, S. 380-428
- Kühnel und Markowitsch: Falsche Erinnerungen
- Schacter: Wir sind Erinnerung
- Loftus: Die therapierte Erinnerung, S. 134-178
- Crombag und Merckelbach: Missbrauch vergisst man nicht, S. 59-106
- Yapko: Fehldiagnose, S. 84-128
- McNally: Remembering Trauma, S. 27-77