Der Literatur der Trauma-Erinnerungstherapeuten kann man eine große Zahl an Symptomen entnehmen, die angeblich auf sexuellen Missbrauch in der Kindheit hindeuten.
Hier sei nur ein kleiner Auszug daraus aufgeführt:
- Abneigung gegen bestimmte Speisen
- Alkoholmissbrauch oder absolute Akoholabstinenz
- Alpträume
- Angst im Dunkeln
- Angst vor Erfolg
- Angst zum Zahnarzt zu gehen
- Anorexie
- Antriebslosigkeit
- Bulimie
- Depressionen
- Gefühl, anders zu sein als Andere
- Gefühl der Machtlosigkeit, Opfergefühle
- Gefühl, innerlich nicht in Ordnung zu sein
- Humorlosigkeit
- Konfliktreiche Partnerbeziehungen
- Mangel an Begeisterungsfähigkeit
- Migräne
- Negative Beziehung zum Körper
- Obsessive Gedanken an Sex
- Perfektionismus
- Perioden sexueller Promiskuität
- Phobien
- Schmerzhafte Menses
- Schüchternheit oder unnatürliche Kühnheit
- Schwierigkeit, seine Gefühle auszudrücken
- Schwierigkeit, Liebe zu geben oder zu empfangen
- Schuldgefühle, geringes Selbstwertgefühl
- Selbstmordgedanken
- Selbstverletzungstendenz
- Sex wird als abstoßend empfunden
- Tagträume
- u. s. w.
Wie man sieht, gibt es wohl kaum einen Menschen, auf den nicht eines oder mehrere dieser Symptome zutreffen. Demnach müssten wohl alle Menschen in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden sein.
Wenn Sie an sich einige der aufgeführten Symptome aus der Liste beobachten: Seien Sie beruhigt, keines dieser Symptome weist auf einen sexuellen Missbrauch in Ihrer Kindheit hin!
Richard McNally erwähnt, dass in diversen Selbsthilfebüchern insgesamt etwa 900 verschiedene Symptome aufgeführt werden. Diese vielen Symptome, die von Trauma-Erinnerungstherapeuten immer wieder als kennzeichnend für sexuellen Missbrauch in der Kindheit angegeben werden, gibt es bei Personen, die keinen Missbrauch erlitten haben ebenso und mit vergleichbarer Häufigkeit. Diese Symptome sagen wenig oder nichts darüber aus, ob Sie als Kind missbraucht wurden.
Für die meisten dieser Symptome gibt es keine wissenschaftlichen Studien über den Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch. Es gibt zwar zu Essstörungen mehrere Untersuchungen, die zum Ergebnis kommen, dass diese Symptome bei sexuell Missbrauchten etwas häufiger auftreten, als beim Durchschnitt der Bevölkerung (Garner & Garfinkel, Handbook of Treatment for Eating Disorders). Doch es gibt auch wissenschaftliche Kritik an der Methodik der Studien (Pope 1997) und Studien mit gegenteiligem Ergebnis. Das ist auch gar nicht so sehr verwunderlich, denn wie Clancy gezeigt hat, ist sexueller Missbrauch in der Kindheit in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht traumabehaftet.
Wenn Ihnen jemand aufgrund von Symptomen aus der soeben gelesenen Liste nahelegt, sexuellen Missbrauch in Ihrer Kindheit in Erwägung zu ziehen, Sie vielleicht sogar drängt, sich daran zu erinnern, dann müssen Sie wissen: Nichts daran ist wissenschaftlich begründet! Aber Sie sind in Gefahr!
Das einzige weitgehend sichere Merkmal für einen Missbrauch in Ihrer Kindheit ist Ihre eigene Erinnerung an ganz konkrete Missbrauchsereignisse. Wenn Sie sich an den Missbrauch erinnern und diese Erinnerung nie vergessen haben, dann ist sie mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig. Das gilt auch, wenn sie diese Erinnerung zeitweilig vergessen glaubten, sie jedoch ohne fremde Hilfe jederzeit wieder zurückrufen konnten.
Wenn Sie aber bis über die Pubertät hinaus nichts von Missbrauch in Ihrer Kindheit gewusst haben, diese Erinnerungen aber durch eine Psychotherapie, durch Selbsthilfegruppen, durch Selbsthilfeliteratur, unter suggestivem Einfluss und durch Ihre eigene Bemühung, etwas Derartiges in Ihrem Leben zu entdecken, „wiedergewonnen“ haben, dann sind Sie wahrscheinlich Opfer falscher Erinnerungen.
Häufig hört man: „Ich habe immer gewusst, dass ich missbraucht worden bin.“ Fragt man, wann, wie, wo und durch wen, dann kommt als Antwort, es sei eine sichere Erinnerung gewesen, dass da etwas war. Die genaueren Umstände aber habe man erst in der Psychotherapie erfahren. Solche Berichte liefern allerdings kein Merkmal für tatsächlichen Missbrauch, sondern im Gegenteil für die Entstehung falscher Erinnerungen bei jemandem, der aufgrund eines Verdachts jede entsprechende, noch so geringe Suggestion willig übernommen hat.